
Interview mit Suzanne Dollinger. Im Verlaufe der letzten 50 Jahren hatte Suzanne viele verschiedene Aufgaben rund um den Distanzreitsport: Distanzreiterin, Medaillen-Trägerin, Equipen-Chefin, Chef Sport im Leitungsteam und Züchterin von Araberpferden.
Interview & Text: Jenny Commons, Suzanne Dollinger
Liebe Suzanne, vielen Dank, dass du meine heutige Interview-Partnerin bist, für das Projekt «Distanzreitsport.ch».
In den letzten Jahren hast du viele verschieden Rollen rund um den Distanzreitsport wahrgenommen. Aber beginnen wir ganz von vorne – wie bist du zum Distanzreitsport gekommen?
Aus Neugierde. Ich habe fast alle Reitsportarten ausprobiert (mit mehr, weniger oder gar keinem Erfolg) und so kam ich auch in den Distanzreitsport (1976). Zuerst KLP, dann den 160 km Schnabelsberg, welchen ich als ganz grosses Abenteuer empfand. Einerseits waren Erfolge damals in dieser jungen Sportart einfacher zu erreichen als in den „klassischen“ Disziplinen, andrerseits lernte ich durch den Distanzsport meinen späteren Ehemann kennen, Albert Dollinger, welcher sich in der Disziplin festhakte. Aus diesen Gründen blieb ich dabei. In der Folge war ich je länger desto mehr fasziniert, weil es so viel zu lernen gab und ich die Entwicklung dieses Sportes wirklich von der „Urzeit“ bis zur „Neuzeit“ miterleben durfte.
1993 gewann die Schweiz zum ersten Mal an einem internationalen Championat eine Medaille – die Bronze Medaille in Southwell (GBR). Du hast mit dem legendären Pferd «Franz CH» zu diesem tollen Resultat beigetragen. Wie war dieses Gefühl, die erste Medaille in die Schweiz zu bringen?
Gemischt. Natürlich stolz, aber auch frustriert, da mir bewusst war, als Team 5 Stunden (!) auf die Erstklassierten verloren zu haben. Dies gab mir ernsthaft zu denken und hat mich geprägt.
Nach deinen Erfolgen im Sattel, hast du die Junioren an die Championate als Equipen-Chefin begleitet. Welche Championate waren das und welches davon blieb dir da am meisten in Erinnerung (und wieso)?
Ich habe die Junioren/Jungen Reiter an drei Championaten als Equipen-Chefin begleitet: 2001 WM ESP, Villacastin / 2003 WM ITA, Pratoni / 2008 EM ESP, Oviedo. Begeistert hat mich speziell die WM in Pratoni. Ein tolles Team, gute Stimmung und ein 6.Rang in der Teamwertung, „ehrlich“ verdient, weil keine Favoriten ausfielen. Auch Oviedo war eine sehr gute Erfahrung: Die Strategie ging auf und wir gewannen (mit etwas Glück) Bronze.
Der Schnabelsberg Distanzritt von Lenzburg nach Einsiedeln in den 70er und 80er Jahren war ein grosses Abenteuer. Für die 160 Kilometer lange Strecke standen 24 Stunden zur Verfügung. Für die meisten Leser dieses Interviews wird «Schnabelsberg» kein Begriff sein. Bitte erzähl uns mehr darüber.
Der Schnabelsberger war damals einer der wenigen (wenn nicht der einzige) 100 Meiler in Europa (nach Beispiel der USA, Tevis Cup). In den Anfängen nahmen vermehrt Island Pferde, Haflinger und andere Kleinpferde teil. Araber gab es wenige. Das Rennen wurde hauptsächlich als Abenteuer empfunden, das es zu bestehen galt. Die definitive Schlusskontrolle fand am nächsten Tag statt (plus/minus 12 Stunden nach Zieleinlauf). Diese Art von Schlusskontrolle galt allgemein an Distanzrennen, so auch anlässlich der internationalen Meisterschaften. Anfang der 90iger Jahre wurde diese Bestimmung aufgegeben wegen mangelnder Medien Attraktivität.
Welcher Distanzritt aus deiner Karriere blieb dir am besten in Erinnerung und weshalb?
Jeder erfolgreiche Distanzritt – sei es als Reiter, Groom oder Equipenchef – bleibt mir in guter Erinnerung. Es gibt für mich keinen „Besten“, aber einige besondere z.B.
1987 Madrid-Lissabon, 630 km in 8 Tagen. Ich war als Groom für Albi mit Franz CH dabei. Leider schieden wir im Laufe des 6.Tages aus (unser erstes Nicht-Bestehen, ich war am Boden zerstört…). Damals war die weitverbreitete Schweizer Devise „to finish is to win“ und alle, die schnell ritten, wurden tendenziell als „Pferdeschänder“ abgestempelt. Als ich aber dort die Zieleinläufe der verbleibenden Tage beobachtete, durfte ich feststellen, dass die vorderen Pferde generell deutlich besser, va weniger müde aussahen als die „Schleicher“. Aus diesem Grund wurden wir in der Folge kompetitiver und versuchten, unsere Pferde innerhalb ihres Potentiales einzusetzen (ist uns nie ganz gelungen, wir blieben eher vorsichtig, aber wir haben uns zumindest verbessert).
Wie hat sich deiner Meinung nach der Distanzreitsport in den letzten 40 Jahren verändert?
Von einer relativ „wilden“ Randsportart mit wenig Reglementen zu einer professionellen, kommerzialisierten und überreglementierten Disziplin.
Erzähle uns etwas über die Pferde, die du an den Championaten dabei hattest.
Ein abendfüllendes Thema… Jedes Pferd ist speziell, hat seine Stärken und Schwächen. Als Bea Holenstein und ich die 6 Pferde der Schweizer Equipe 1998 an die WM nach Dubai begleiten und sie mehr als zwei Wochen allein betreuen und reiten durften (bevor die Equipe eintraf) haben wir diese sechs Persönlichkeiten näher kennengelernt. Wir verstanden dadurch, wie vorteilhaft es ist, dass ein Reiter sein Pferd gut kennt.
Ich mag mich an viele Vorträge von dir erinnern – du bist die Königin der Statistiken! An jedem Kaderweekend, Endurance Day oder Vortrag hattest du spannende Statistiken zu vergangenen Ritten, Championaten, Durchkommensraten, gerittenen Tempis und Teilnehmerzahlen dabei. Machst du die für dich auch heute noch?
Nein. Ich vertiefte mich damals in die Statistiken, einerseits um die Strategie für Championate zu erarbeiten, andrerseits– auf internationaler Ebene (zusammen mit Dominik Burger) – die Reglemente zu beeinflussen.
In den Jahren 1995 bis 2007 züchteten du und dein Ehemann Albert Araberpferde. Unter dem Zuchtnamen «d’Alsace» habt ihr erfolgreiche Pferde gezüchtet, z.B. Atout d’Alsace, Orna d’Alsace, Cador d’Alsace und Elix d’Alsace. Erzähle uns bitte etwas davon.
Wir waren reine Hobbyzüchter ohne grosse Ambitionen. Es hat Spass gemacht und das Herz erfreut.
Welches war der schönste Distanzritt, an dem du je mitgeritten bist? Und wieso?
Jeder Ritt, den ich mit einem gesunden, fitten Pferd bestehen durfte, ist eine schöne Erinnerung. Ich bin dankbar, viele solcher Ritte erlebt zu haben.
Speziell positiv in Erinnerung ist mir die EM Morlaix 1995. Alles lief harmonisch, mein Solo gab sein Bestes, meine Grooms waren fantastisch, ich wurde von allen Seiten unterstützt, das Resultat war befriedigend.
Was waren die grössten Herausforderungen als Equipenchefin?
Ich habe mich stets nach den erfolgreichen internationalen Teams orientiert und versucht, diese Erkenntnisse in der Schweiz umzusetzen. Erfolgreiche Teams haben meist eine Taktik mit strenger Disziplin. Haben sie „nur“ ausserordentliche Pferde/ Reiter, aber keine Disziplin als Team, dann erringen sie die Einzelmedaillen, scheitern aber oft in der Equipe. Die Franzosen haben beides. Eine Nation, die weniger Top Pferde hat, ist auf eine Taktik angewiesen, um eine Medaille als Team erobern zu können. Dafür müssen die Teammitglieder mitmachen und bis zu einem gewissen Grad auf ihren Individualismus verzichten. Dies zu erreichen war die grösste Herausforderung als Equipenchefin und dann auch erfolgreich. Doch (zu) oft blieb der Individualismus der Reiter dominant.
Die zweite – wirklich belastende – Herausforderung war die Zeit, als sechs ReiterInnen nominiert werden konnten, aber nur vier davon im Team mitreiten durften. Die Teamleitung musste wählen... und damit waren die internen Missstimmungen vorprogrammiert.
Was würdest du einem Neu-Einsteiger, für den ersten Distanzritt, als Tipp mit auf den Weg geben?
„Learn from the Best to Be the Best“, lerne aus Erfolgen und vor allem aus Misserfolgen. Gib niemanden die Schuld, vor allem nicht Deinem Pferd, aber auch nicht den Grooms, den Veterinären, den Organisatoren, dem Wetter, dem Terrain etc. Analysiere selbstkritisch und verbessere. Überschätze nie die ersten guten Resultate und warte auf die grossen Erfolge, bevor Du Dein Auto / Deinen Anhänger damit anschreibst.
Als Abschluss-Frage, eine Frage, die ich allen Interview-Partnern stelle: «Was wünschst du dem Schweizer Distanzreitsport für die Zukunft?»
Auf nationaler Ebene: Engagierte Organisatoren und viele motivierte Teilnehmer.
Auf internationaler Ebene: Medaillen.
Vielen Dank Suzanne, für deine Antworten und dass du dir die Zeit genommen hast!
Erfolge
2008 | als Equipen-Chefin | Oviedo (ESP) | EM Junioren CEI2* (120km) | 3. Rang |
10.1999 | als Equipen-Chefin | Elvas (POR) | EM Elite CEI3* (160km) | Team Bronze |
12.1998 | Solo de la Drôme | Dubai (UAE) | WEG CEI3* (160km) | 36. Rang |
10.1998 | Sif | Aarau (SUI) | Schweizermeisteschaft (2x 100km) | 1. Rang |
1996 | Solo de la Drôme | Biasca (SUI) | Schweizermeisterschaft | 3. Rang |
09.1995 | Solo de la Drôme | Morlaix (FRA) | EM CEI3* (160km) | 20. Rang |
08.1994 | Solo de la Drôme | Den Haag (NED) | WEG CEI3* (160km) |
23. Rang Team 4. Rang |
1994 | Solo de la Drôme | Biasca (SUI) | Schweizermeisterschaft |
2. Rang |
09.1993 | Franz CH | Southwell (GBR) | EM CEI3* (160km) |
24. Rang Team Bronze |
1993 | Franz CH | Avenches (SUI) | Schweizermeisterschaft | 3. Rang |
1993 | Franz CH | Swiss Cup | 3. Rang |
1978 als erste Schweizerin auf einem Isländer einen 160 Kilometer-Ritt bestanden.